Equine Complex Vertebral Malformation (ECVM)

Informationsschreiben der IAFH

Der Gesundheit der Halswirbelsäule des Pferdes kommt eine tragende Bedeutung zu. Das Krankheitsbild der Equine Complex Vertebral Malformation (ECVM) stellt immer mehr Pferdesportler, Besitzer, Tierärzte und Züchter vor Herausforderungen. Viele Fragen sind nachwievor ungeklärt: Wie viel Variation an den Halswirbeln ist normal, ab wann sind die Gesundheit und Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, welche Umweltfaktoren begünstigen die Entstehung dieser Krankheit, wie genau wird sie vererbt und wie soll man in der Pferdezucht damit umgehen? Um nachhaltige Entscheidungen treffen zu können und die Gesundheit des Reitpferdes zu priorisieren, haben sich elf deutsche Pferdezuchtverbände mit Forschung und Wissenschaft zusammengeschlossen und ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen.

Wenn Pferde plötzlich unrittig werden, vermehrt stolpern oder sogar stürzen, sind Koordinationsstörungen, die in Folge von Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule auftreten, eine mögliche Ursache. Speziell Fehlbildungen im Bereich der unteren Halswirbelsäule haben das Potenzial, klinische Erscheinungen, d. h. Auffälligkeiten, die ohne weitere diagnostische Hilfsmittel festzustellen sind, auszulösen. Aus diesem Grund wird in Pferdekreisen aktuell intensiv über ECVM (Equine Complex Vertebral Malformation) diskutiert.

Die im Rahmen dieser Erkrankung auftretenden Deformationen der Wirbel der unteren Halswirbelsäule des Pferdes betreffen im Wesentlichen den sechsten und siebten Halswirbel. Die Veränderungen umfassen das ein- oder beidseitige Fehlen des Knochenfortsatzes an der Unterseite des sechsten Halswirbels, welches teilweise mit einer strukturellen Umbildung des siebten Halswirbels sowie der ersten Rippe einhergeht.

Aufgrund der immer häufiger und umfassender zur Anwendung kommenden röntgenologischen Untersuchungen von Pferden liegen auch immer mehr Daten zu Befunden an der (Hals-)Wirbelsäule vor. Die Einordnung dieser Befunde in Bezug auf Ursachen, Einflussfaktoren und die klinische Relevanz fällt oft schwer. Sowohl die Tierärzteschaft als auch die Pferdezucht wollen den Zusammenhang zwischen dem Auftreten der ECVM und einer klinischen Symptomatik sowie eine mögliche Vererbbarkeit aufdecken. Wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse werden benötigt, um auf solider Basis über veterinärmedizinische und züchterische Maßnahmen nachhaltig entscheiden zu können.

Einordnung der Erkrankung

Bei der ECVM handelt es sich keineswegs um eine neue Erkrankung, die erstmals beim modernen Reit- und Sportpferd auftrat. Vielmehr wurden solch strukturelle Veränderungen der unteren Halswirbelsäule des Pferdes bereits vor vielen Jahrzehnten beschrieben und sind durch in Museen ausgestellte Pferdeskelette und Fallberichte zu Sektionsbefunden belegt. Auch und gerade für das Englische Vollblut sind solche Variationen an der Halswirbelsäule dokumentiert. Die meisten veröffentlichten Ergebnisse beziehen sich auf diese Rasse.

Vor allem bei den heutzutage größtenteils sportlich genutzten Pferden spielen die Strukturen der unteren Halswirbelsäule eine wortwörtlich tragende Rolle. Sie dienen als Ansatzstelle für Bänder und Muskulatur der Vorhand, zu welchen wichtige Rumpf- und Gliedmaßenträger zählen. Zum jetzigen Zeitpunkt ungeklärt ist jedoch der funktionelle Zusammenhang zwischen der am Skelett erkennbaren beziehungsweise röntgenologisch darstellbaren Veränderung und der klinischen Auffälligkeit des betroffenen Pferdes.

Bisherige Studien konnten keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen strukturellen Veränderungen der unteren Halswirbelsäule und dem Auftreten von ohne diagnostische Hilfsmittel erkennbaren Symptomen feststellen. Dem stehen Berichte und Erfahrungen aus der Praxis gegenüber, dass Pferde mit Problemen in der Rittigkeit und im Bewegungsablauf auch röntgenologische Befunde im Sinne von ECVM aufweisen. Das spricht dafür, dass ein gewisses Maß an Variation in der Ausformung der Halswirbel normal und unproblematisch ist, im Einzelfall aber auch ein Erkrankungswert gegeben sein kann. Diesen Erkrankungswert festzustellen bzw. die ihn ausmachenden Kriterien zu ermitteln, ist als dringender Forschungsgegenstand anzusehen, der gezielter und umfassender Bearbeitung bedarf.

Obwohl bekannt ist, dass die beschriebenen Veränderungen der Halswirbelsäule angeboren sind, ist bisher unklar, in welchem Maße sie erblich bedingt sind und wie viel Variation, gerade auch in Bezug auf die mögliche klinische Relevanz, sich durch Umwelteinflüsse wie z. B. Fütterung der Mutterstute während der Trächtigkeit, Bewegungsmanagement des Fohlens oder später Reiten und Training ergibt. Unbekannt ist aktuell dementsprechend auch, wie viele und welche Gene beziehungsweise Genvarianten dieses Merkmal maßgeblich beeinflussen. Bei der wissenschaftlichen Beantwortung dieser drängenden Fragen müssen Tiermedizin, Tierzucht und Forschung eng zusammenarbeiten.

Klinische Symptomatik

Das klinische Erscheinungsbild der ECVM ist sehr umfassend und reicht von Symptomlosigkeit bis hin zu spinaler Ataxie, d. h. von der Wirbelsäule ausgehender Störung von Gleichgewicht und Bewegungskoordination. Betroffene Pferde können durch gering- bis hochgradige Bewegungseinschränkung im Halsbereich und an der Vorhand auffällig werden. Oftmals fallen betroffene Pferde durch vermehrtes Stolpern bis hin zu Stürzen oder schwankenden Gang auf. Durch die unphysiologische Nutzung der Muskulatur und unter Umständen Quetschung der Halsnerven an den umgebildeten Wirbeln können Pferde Schmerzen bei der Bewegung des Halses sowie in der Muskulatur selbst zeigen. In schweren Fällen kommt es zu einer Atrophie, d. h. Verkümmerung der Halsmuskulatur.

Forschungsverbund

Die International Association of Future Horse Breeding GmbH & Co KG (IAFH) setzt sich für den Wissenszuwachs in der Pferdezucht ein und unterstützt die Forschung zu praxisrelevanten Themen. Im Rahmen der 2023 auf Initiative der IAFH gestarteten ECVM-Studie soll zunächst der Frage nach der Häufigkeit des Auftretens der Malformation der unteren Halswirbel beim Warmblutpferd nachgegangen werden. Vorgesehen ist, dass an einer größeren Stichprobe von Warmblütern umfassende Datenerhebungen durchgeführt werden, um aussagekräftige Analysen zum Zusammenhang zwischen Genetik, struktureller sowie klinischer Auffälligkeit zu ermöglichen. Die Pferde werden klinisch allgemein und neurologisch untersucht. Objektive Bewegungsdaten, erhoben unter Einsatz von Sensortechnik, sollen die Datenbasis weiter stärken. Für die Darstellung der strukturellen Beschaffenheit der Halswirbel wird die untere Halswirbelsäule geröntgt, was leistungsstarke Röntgentechnik und Erfahrung des Untersuchers erfordert. SNP-Genotypisierungen werden bei den beteiligten elf Reitpferdezuchtverbänden bereits routinemäßig für die Abstammungsüberprüfung aller Fohlen veranlasst, so dass individuelle genetische Profile vorliegen. Diese können nun in der ECVM-Studie helfen, der für die Veränderungen an den Halswirbeln ursächlichen Genetik auf den Grund zu gehen.

Da für die Pferdezuchtverbänden die Pferdegesundheit einen hohen Stellenwert hat, geht mit der ECVM-Studie ein groß und umfassend angelegtes Forschungsprojekt zur Aufklärung der Hintergründe und Zusammenhänge von ECVM an den Start. Die Studie wird gemeinsam durch Wissenschaftler des Forschungsinstituts für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf, der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) und das Rechenzentrum Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung (vit) durchgeführt. Erfahrene Radiologen und Fachtierärzte für Pferde sowie Wissenschaftler der tierzüchterischen Institute der Universitäten in Göttingen und Kiel stehen außerdem fachlich beratend zur Seite. Die Unterstützung und Finanzierung der Studie erfolgt durch die IAFH.